Auffahrunfall – wer hat Schuld?

Von Cynthia W.

Letzte Aktualisierung am: 3. Oktober 2023

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Einmal kurz beim Fahren den Sicherheitsabstand nicht beachtet – und schon kann es krachen. Aber wer ist dafür verantwortlich: Der drängelnde Hintermann, der bummelnde Vordermann – oder gar beide? Häufig kommt es zu hitzigen Streitigkeiten darüber, wer bei einem Auffahrunfall die Schuld trägt.

FAQ: Schuldfrage beim Auffahrunfall

Trägt wirklich immer der Auffahrende die Schuld am Unfall?

Nein, aber gegen ihn spricht zuerst der allgemeine Erfahrungssatz, dass er z. B. nicht ausreichend Sicherheitsabstand gehalten hat. Diese Vermutung (Anscheinsbeweis) kann er durch Beweise widerlegen, beispielsweise wenn der vorwegfahrende Fahrer plötzlich abrupt bremst.

In welchen Situationen kommt es häufig zu Auffahrunfällen?

Das Ein- und Ausparken, der Verkehr auf der Autobahn und das übliche Stop-and-go im Stau oder vor der Ampel sind typische Situationen, in denen es zu solchen Unfällen kommen kann.

Wie muss ich mich bei einem Auffahrunfall verhalten?

Es gelten dieselben Verhaltensregeln wie bei anderen Unfällen auch. Bewahren Sie Ruhe und lassen Sie sich nicht unbedacht zu einem Schuldanerkenntnis überreden, auch dann nicht, wenn Sie aufgefahren sind.

Die Schuldfrage bei einem Auffahrunfall ist nicht immer leicht zu beantworten

Auffahrunfall! Wer hat Schuld daran?
Auffahrunfall! Wer hat Schuld daran?



Tagtäglich kommt es zu Unfällen auf deutschen Straßen – nicht wenige davon dürften Auffahrunfälle sein. Die Folgen können, je nach Unfallsituation, recht unterschiedlich ausfallen: von leichtem Blechschaden bis schweren körperliche Verletzungen kann alles dabei sein. Unabhängig vom konkreten Schweregrad steht bei jedem Unfall die Frage im Raum, wer für den Crash verantwortlich ist. Handelt es sich um einen Auffahrunfall und eine Schuld muss ermittelt werden, dann kann es schnell zu Auseinandersetzungen kommen.

Für solche Situationen hat sich das Sprichwort „Wer auffährt, hat immer Schuld!“ eingebürgert. Deshalb kommen viele Autofahrer schnell ins Schwitzen, sollte der Vordermann mal versehentlich angestoßen worden sein. Ein Blick auf mögliche Unfallsituationen und Urteile der Rechtsprechung zeigen jedoch, dass dies mitunter nur begrenzt zutrifft.


Grundsätzlich gilt es hierzulande, beim Fahren auf einen angemessenen Sicherheitsabstand zu achten. In gleichem Maße sollten es Vorausfahrende jedoch vermeiden, plötzlich abzubremsen – beides ist im § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung festgehalten:

1. Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.

2. Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.

Bei einem Auffahrunfall sollte die Schuldfrage differenziert betrachtet werden
Bei einem Auffahrunfall sollte die Schuldfrage differenziert betrachtet werden

Dass bei einem Auffahrunfall die Schuld grundsätzlich immer beim Auffahrenden zu suchen ist, kann also ein Trugschluss sein – auch wenn leicht nachvollzogen kann, woher dieser rührt. Wer einem anderen Verkehrsteilnehmer ins Auto fährt, verhält sich schließlich aktiv und schädigend. Dieser Anscheinsbeweis ist der Grund, dass die den Auffahrunfall betreffende Schuldfrage meist von vornherein geklärt scheint. Dementsprechend häufig wird bei Urteilen zugunsten desjenigen entschieden, welchem aufgefahren wurde.

Diese Betrachtung unterschlägt jedoch, dass der Vorausfahrende ein Auffahren durch seine Fahrweise ebenso provoziert haben kann. Zudem zeigen abweichend gefällte Urteile, dass sich Unfallbeteiligte nicht grundsätzlich auf diese ungeschriebene Regel verlassen können.

Ausgewählte Urteile zur Schuldfrage beim Auffahrunfall

Das Amtsgericht Wuppertal beschloss 2010: Ein Fahrer musste bei einem Auffahrunfall zu 25 % haften, da dieser in einer Kreuzung anhielt, um unerlaubterweise nach links abzubiegen (Aktenzeichen 33 C 25/09). Dieser Fall ist jedoch nicht ganz repräsentativ für die Unschuld des Auffahrenden: Obwohl der Vorausfahrende an dem Auffahrunfall insofern Schuld trägt, als dass er eine offensichtlich rechtswidrige Handlung beging, musste der Löwenanteil des Schadens dennoch vom Auffahrenden übernommen werden.

"Wer auffährt, hat Schuld!" - Dies ist mitunter nur begrenzt richtig
„Wer auffährt, hat Schuld!“ – Dies ist mitunter nur begrenzt richtig

Der Bundesgerichtshof legte 2011 fest: Der Anscheinsbeweis ist bei Unfällen auf der Autobahn nicht anwendbar, wenn ein Spurwechsel des Vordermannes feststand, der restliche Verlauf jedoch ungeklärt ist (Aktenzeichen VI ZR 177/10). Für solch einen Auffahrunfall kann die Schuld regelmäßig nicht vollständig dem Auffahrenden gegeben werden, da der gesamte Unfallhergang die Schuldhaftigkeit belegen muss. In solchen Fällen erfolgt in der Regel eine hälftige Schadensteilung.

Das Amtsgericht München entschied 2014: Ein grundloses Abbremsen im Straßenverkehr stellt eine Gefährdung dar, weshalb Betroffene im Falle eines Auffahrens für 30 % des entstandenen Schadens haften (Aktenzeichen 345 C 22960/13). Die übliche Vermutung eines fehlenden Sicherheitsabstandes vom Nachfahrenden trifft hier nur begrenzt zu.

Das Oberlandesgericht Hamm urteilte 2014: Handelt es sich um einen Kettenauffahrunfall mit mehr als zwei Beteiligten, dann wird der Anscheinsbeweis gegen den letzten in Kette Auffahrenden regelmäßig nicht angewendet (Aktenzeichen 6 U 101/13). Eine Ausnahme würde bestehen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen kam und nicht durch den Aufprall des nachkommenden Wagens einen zu kurzen Bremsweg hatte. Während bei einem „regulären“ Auffahrunfall die Schuld häufig zügig ermittelt werden kann, gestaltet sich dies bei solchen Massenkarambolagen als schwierig .

Dies ist nur eine exemplarische Auswahl an Urteilen, welche keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und auch nicht uneingeschränkt verallgemeinert werden kann. Es soll hiermit lediglich verdeutlicht werden, dass bei einem Auffahrunfall die Schuld nicht immer beim Auffahrenden liegt.

Häufige Gründe für Auffahrunfälle

Stop-and-Go

Gerade dann, wenn nacheinander wiederholt angefahren und abgebremst wird, reagieren Fahrer häufig zu langsam – und schon kann es krachen. Eine Haltesituation an der Ampel oder einer Baustelle führt daher schnell mal zu einem Auffahren.

Parksituationen

Beim Rangieren wird nicht nur schnell mal der Nebenmann gestreift; rollt der Vorausfahrende beim Ausparken unerwartet zurück, kommt es schnell zu einem Auffahrunfall. Die Schuld wird auch hier in der Regel dem Auffahrenden angelastet, schließlich müssen Autofahrer mit solchen Manövern rechnen.

Unfallort Autobahn

Hohe Geschwindigkeiten, Überholmanöver, Spurwechsel : Wer sich auf die Autobahn begibt, der sollte besonders umsichtig fahren – schließlich lauert hier viel Potential für einen Crash. Ist z. B. hinter der nicht einsehbaren Kurve ein Stau, können Fahrer mitunter nicht rechtzeitig abbremsen und „rauschen“ ihrem Vordermann rein – so kann es auch schnell mal zu einem Kettenauffahrunfall kommen.

„Normaler“ Straßenverkehr

Nicht immer muss eine unüberschaubare oder besondere Situation gegeben sein. Gerade Fahrfänger oder ältere Fahrer neigen dazu, langsam zu fahren oder abrupt abzubremsen. Der Hintermann kann dann häufig nicht mehr schnell genug reagieren. Bei solch einem Auffahrunfall kann die Schuld dem Vorausfahrenden zugesprochen werden.

Aufgefahren – so verhalten Sie sich richtig!

Ganz gleich, wer bei einem Auffahrunfall Schuld hat oder nicht – hat es gerumpelt, sollten dennoch die allgemeinen Verhaltensregeln beachtet werden. Auch wenn der Ärger schnell hochkocht: Ein korrektes Verhalten im Straßenverkehr ist unabdinglich, um sich selbst und andere nicht zu gefährden.

Bevor Sie die Schuldfrage bei einem Auffahrunfall diskutieren, sichern Sie die Unfallstelle ab
Bevor Sie die Schuldfrage bei einem Auffahrunfall diskutieren, sichern Sie die Unfallstelle ab
  1. Oberste Regel: Ruhe bewahren. Das mag recht abgedroschen daher kommen, sollte aber unbedingt beherzigt werden. Verfallen Sie nicht in irgendwelche Streitereien, bevor Sie den Unfallort abgesichert haben – auch wenn es sich nur um einen Bagatellschaden handelt. Für Diskussionen ist später noch Zeit.
  2. Kam es zu Personenschäden, die einer sofortigen Hilfe bedürfen? Wenn ja, leisten Sie bei Möglichkeit erste Hilfe und setzen Sie den Notruf ab.
  3. Schalten Sie die Warnblinkanlage ein, ziehen Sie eine Warnweste über und stellen Sie das Sicherheitsdreieck in angemessener Entfernung auf.
  4. Sprechen Sie mit dem Unfallgegner. Versuchen Sie, die Situation zu rekonstruieren: Wie kam es zu dem Auffahrunfall? Liegt die Schuld bei einem der Fahrer, beiden oder kann von höherer Gewalt ausgegangen werden?
  5. Tauschen Sie Ihre Daten (Name, Anschrift, Versicherung) aus und dokumentieren Sie ggf. die Schäden am Wagen.
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Über den Autor

Autor
Cynthia W.

Cynthia ist seit 2016 Online-Redakteurin bei bussgeldkataloge.de. Mit einem umfangreichen Hintergrundwissen zu Rechtsthemen und der Fähigkeit, komplexe rechtliche Konzepte verständlich zu erklären, unterstützt sie unser Redaktionsteam bei der Erstellung von informativen und spannenden Artikeln rund ums Verkehrsrecht.

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